Thomas Mullen, Dark Town

Thomas Mullen, Dark Town, 2016, dt. 2018 (aus dem Englischen von Berni Mayer), 479 Seiten (Lizenzausgabe der Büchergilde Gutenberg).

Thomas Mullen, Darktown | Foto: nw2020

Thomas Mullen, Darktown | Foto: nw2020

Hintergrund

Der Zweite Weltkrieg ist vorüber, während dem circa 100.000 Schwarze in den US-Streitkräften gekämpft hatten – gegen eine menschenverachtende Rassenideologie. Wieder zurück in den Staaten, erleben sie die fortdauernde Rassentrennung als besonders grotesk und bedrückend.

»Wie hältst du es hier aus, Lucius?«, fragte Percy, als hätte er seine Gedanken gelesen. »Die Blicke auf den Straßen. Den ganzen Wahnsinn. Die sind doch alle verrückt hier. Wir haben die Faschisten in Europa besiegt, aber hier sind sie noch an der Macht.« (S. 283)

In Atlanta – der Hauptstadt von Georgia, die sowohl im Bürgerkrieg als auch für die Bürgerrechtsbewegung wichtig war – werden im Jahr 1948 erstmals acht schwarze Polizisten eingestellt. Diese haben nur eingeschränkte Zuständigkeiten und Handlungsbefugnisse, aber es ist ein Anfang. So denken auch Lucius Boggs und Tommy Smith, die zu diesen acht Polizisten gehören und gemeinsam auf Streife gehen.

Die Handlung

Wenn sie Menschen festnehmen wollen oder wenn es um Weiße geht, müssen die schwarzen Polizisten ihre weißen Kollegen rufen. Ermittlungen durchführen dürfen sie auch nicht. In dem Stadtviertel, in dem die Geschichte spielt, ist Officer Dunlow zuständig, seit zwanzig Jahren Streifenpolizist, korrupt und gewalttätig. Ihm wurde mit Officer Rakestraw ein junger Kollege zugeteilt, der noch Skrupel hat und die Rassentrennung zwar nicht ablehnt, aber die Schwarzen auch nicht für gefährliche Untermenschen hält.

Diese vier Männer stehen im Zentrum des Geschehens und aus ihrer Perspektive wird die Geschichte erzählt. Dabei geht es einerseits um alltägliche Konfliktsituationen, hinter denen die strukturellen Probleme der gesellschaftlichen Situation stehen, andererseits aber auch um einen Mordfall.
Das Opfer ist eine schwarze junge Frau, was den Ermittlungseifer der weißen Polizisten merklich dämpft, um so mehr, als ein ehemaliger Kollege von ihnen in den Fall verwickelt zu sein scheint.
Während vor allem Boggs und Rake versuchen – allerdings zunächst unabhängig voneinander –, den Mordfall aufzuklären, geht es auch grundsätzlich darum, wer innerhalb der Polizei das Sagen hat, ob Dunlow seine Vormachtstellung behaupten kann.

Rake stand auf und wünschte Boggs viel Glück. Dann schüttelte er zum zweiten Mal an diesem Tag und in seinem Leben einem Negro die Hand. (S. 323)

Keiner der Beteiligten geht zimperlich zu Werke, denn es steht für jeden viel auf dem Spiel. Langsam kommt dabei eine große Sache ans Licht.

Zum Stil

Die Sprache ist variantenreich, auch in den Dialogen elaboriert. Lediglich unter Polizisten und gegenüber Gangstern ist es mal knackiger. Ansonsten überwiegt ein fließender, gleichwohl präziser und mitunter auch poetischer Stil.

Deshalb stand er eines Tages um sechs Uhr morgens auf, deutlich früher, als er eigentlich vorgehabt hatte nach einer seiner langen Nachtschichten.Er zog sich an und stürzte einen Kaffee hinunter, dann verließ er das Haus. Es war bereits hell, der kleine Vorgarten seiner Eltern noch voller Tau. Die Vögel klangen erstaunt, ihn um diese Uhrzeit zu sehen. (S. 248)

Die Spannung der einzelnen Handlungsstränge wird durch Schauplatzwechsel immer mehr verdichtet; unaufhaltsam steuert das Buch auf seinen Höhepunkt zu.

Meine Einschätzung

Es ist sehr gut gemacht, wie der Autor in kürzeren und längeren Abschnitten über die Rassentrennung schreibt – nie wirken diese Passagen wie eingeschobene Erläuterungen, die aus einem Sachbuch übernommen wurden und dem Leser die Moral der Geschichte erklären. Stets sind diese Stellen gut und überzeugend in die Handlung eingebunden oder Teil wichtiger innerer Monologe, mit denen die Figuren ihre Situation reflektieren und das Geschehene verarbeiten.

Obwohl Sweet Auburn sich viel größeren Wohlstands rühmen konnte, als den meisten Weißen bewusst war, und die West Side auf der anderen Seite der Stadt renommierte Universitäten für Negroes beherbergte, deren Existenz die meisten Weißen noch nicht einmal ahnten, befand sich der Großteil von Atlantas farbigen Vierteln in bemitleidenswertem Zustand. (S. 60f.)
„Ma’am, können Sie mir sagen, wie spät es war, als Sie das Haus verließen?“, hatte er sie gefragt. Oder: „Was wurde denn noch gestohlen Ma’am?“ Doch sie hatte nur finster dreingeblickt und wissen wollen, warum er sie »Ma’am« nannte. Zunächst hatte er keine Ahnung, was sie meinte. Als sie es wiederholte, antwortete er: „Ich kann Sie ja schlecht Sir nennen.“ Das kam nicht gut an, sie beschimpfte ihn, unterstellte ihm fiese Tricks. Da erst wurde ihm bewusst, dass sie nie zuvor jemand »Ma’am« genannt hatte. Boggs hatte zahllose Male gehört, wie man sein Mutter so ansprach, eine angesehene Matriarchin der Auburn Avenue, Frau eines Priesters. Doch dieser bemitleidenswerten Frau schien die Anrede völlig fehl am Platz. (S. 62)

Der Text hat nach meinem Empfinden den richtigen Drive für eine spannende Polizistengeschichte, bietet aber auch ein paar effektvolle Ritardandi für grundsätzliche Erwägungen. Insgesamt ist er eine gute und sinnfällige Illustration für so manchen Essay in Coates’ Buch »We were eight years in power«.

Smith war noch nie in Gesellschaft so vieler gut situierter Negroes gewesen. Er wusste, dass es sie gab, und hatte hier und da welche zu Gesicht bekommen, aber vor dieser Häufung an einem Ort wurde ihm schwindelig. Er war froh, dass er letzte Woche einen Großteil auf dieses Jackett verwendet hatte. Während er sich mit einem Arzt und dem Eigentümer dieses Barbershop-Imperiums unterhielt, wurde er sich seiner verschluckten Konsonanten und seines Hangs zu Schimpfwörtern bewusst. Er bestaunte Uhren und Manschettenknöpfe. Mehr als einmal wandelte sich ein ursprünglich leicht abfälliger Blick, sobald er erwähnte, dass einer von Atlantas neuen Polizisten sei, und seine Ungeschliffenheit war plötzlich rühmenswert. (S. 269)

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Thomas Mullen mit Darktown ein spannendes und gut geschriebenes Buch vorgelegt hat, das ein politisch schwieriges Thema anschaulich behandelt. Die Aufmachung der Büchergilde ist gelungen, der Schutzumschlag ansprechend und der grüne Leineneinband kontrastiert gut mit dem orangefarbenen Lesebändchen.

Die Nachwirkungen des im Text Geschilderten auf die heutige Zeit sind erschreckend, wie ich finde, gerade nach den acht Obama-Jahren, die eigentlich eine große Veränderung markierten oder hätten markieren sollen.

Klare Leseempfehlung für ein Buch, das mehr liefert, als nur eine sehr gute Geschichte!

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