Der Wintersoldat

Der Roman spielt in der Zeit des Ersten Weltkriegs in der Habsburgermonarchie: Daniel Mason, Der Wintersoldat. 2018, dt. 2019 (aus dem Englischen von Sky Bonhof und Judith Schwaab), 430 Seiten.

Daniel Mason, Der Wintersoldat | Foto: nw2019

Daniel Mason, Der Wintersoldat | Foto: nw2019

Ich gestehe, daß ich fünfzig, sechzig Seiten lang keine Lust mehr auf das Buch hatte. Nach einem ungewöhnlichen Beginn und einer interessant erzählten Rückblende war das Buch in der erzählten Gegenwart angekommen und trat für mein Empfinden auf der Stelle. Und ich als Leser kniete in Wundbrand, Läusen und Elend. Doch gerade da twitterte der Kaffeehaussitzer, wie begeistert er von dem Buch sei, was ich als Ansporn nahm, mich wieder auf den Roman einzulassen.

Und siehe da, plötzlich nahm auch die Handlung wieder Fahrt auf, es gab neue Wendungen, Dramatik, Dynamik und Schauplatzwechsel. Die Erzählung ist insgesamt vielfältig und spannend, die fiktionale Verdichtung erlaubt einen ganz anderen Blick als die biographische Erzählweise in Arne Karstens »Untergang der Welt von gestern«, das fast den identischen Zeitraum behandelt.

Die Familiengeschichte von Lucius in der Gesellschaft der österreich-ungarischen Monarchie, sein bei Kriegsausbruch nicht beendetes Medizinstudium, die Realitätserfahrungen im Lazarett, das mal näher an der Front liegt und mal weiter von ihr entfernt ist, Begegnungen, Trennungen, Alpträume, Tote, Gewalt, Grausamkeit, Einsamkeit – es ist ein großartiges Panorama von Ereignissen, Stimmungen und Gefühlen, das Mason hier sprachlich geschickt zu guter Literatur macht.

Entbehrungen, zwei Kriegswinter.

April wurde es trotzdem. (S. 191)

Dann kommt die russische Offensive das Jahres 1916, die große Veränderungen bringt. Lucius gelangt schließlich als Arzt nach Wien in ein Krankenhaus.

Grandios, wie die Mutter kurz vor Ende des Krieges Lucius klarmacht, daß jetzt die Zeit sei, zu heiraten. Diese drei, vier Seiten sind für mich einer der absoluten Höhepunkte des Buchs. Die Ehe freilich ist nicht von Dauer – wie könnte sie, da Lucius an Liebeskummer leidet.

Auf einmal, so scheint es, ist der Krieg vorbei. Der junge Kaiser dankt ab, das Reich zerfällt. Kann Lucius nun endlich nach Galizien zurückkehren, um seine Suche nach der Frau fortzusetzen, die er nicht vergessen kann? Die Wirren der Nachkriegszeit sind groß, denn der Krieg geht in Mittel- und Osteuropa ja weiter, nur ohne Österreich. Mit einer dramatischen Zugfahrt illustriert der Roman dies knapp und eindrücklich.

Können Menschen Frieden finden? Nach allem, was sie einander im Großen wie im Kleinen angetan haben?

Während Hans Castorp am Ende in die Schlacht taumelt, tritt Lucius am Ende als ein Überlebender in die Welt, mit allen Implikationen, die in diesem Begriff mitschwingen können.

Und hier gibt es das YouTube-Video zum Buch:

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Eine Antwort zu Der Wintersoldat

  1. Constanze Matthes schreibt:

    Ich hatte das Buch bereits im Buchladen in der Hand, es war mir auch in der Vorschau aufgefallen und das Thema sagt mir sehr zu. Ich glaube, da werde ich nicht drumherum kommen. Viele Grüße und vielen Dank fürs Anstupsen

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