Edith Wharton, Dämmerschlaf

Gesellschaftliche Zwänge bilden das große Thema der New Yorker Autorin, die von 1862 bis 1937 lebte und das glanzvolle Leben der Upper Class von klein auf kennengelernt hatte. Sie floh nach der Jahrhundertwende aus einer unglücklichen, konventionellen Ehe nach Paris und lebte bis zu ihrem Tod in Frankreich. Für das 1897 erschienene Buch „The Age of Innocence“ erhielt sie 1920 den Pulitzerpreis.

Vor bald zwanzig Jahren las ich ihren unvollendet gebliebenen Roman „Die Freibeuterinnen“, der von Marion Manwaring fertiggestellt wurde und seinerzeit als Sensation angepriesen wurde. Hier werden junge Frauen, deren Väter kein altes Geld besitzen, und die deshalb keine besonders guten Partien machen können, nach England verbracht und dienen der dortigen Aristokratie zur Blut- und Geldauffrischung.

Dadurch neugierig gemacht erwarb ich ein paar Jahre später bei einem Amerikaaufenthalt die Erzählungen „Old New York“, in denen die Gepflogenheiten der Jahrhundertmitte dargestellt werden. Das fand ich dann weniger ansprechend, zwar nicht ohne ein paar Spitzen, aber doch sehr betulich.

Als aber nun bei Manesse der Roman „Dämmerschlaf“ („Twilight Sleep“, 1927) in einer neuen Übersetzung herauskam, wollte ich mich noch einmal  auf die Autorin einlassen – und erlag zugegebenermaßen auch den Verlockungen des Umschlagphotos. Das insgesamt schlicht, aber schöne gestaltete Buch birgt eine ganze Menge Lesevergnügen.

Es spielt nach dem Ersten Weltkrieg und führt in die Privatsphäre der gehobenen, freilich nicht der höchsten Kreise New Yorks. Der straff durchorganisierte, keine freie – sie wäre denn genau vorgesehen! – Minute umfassende Tagesablauf der weiblichen Hauptfigur Pauline begegnet uns schon auf der ersten Seite und er gibt über weite Strecken den Takt des Buches vor. Selbst andere, eigentlich gemächlicher lebende Figuren wie der erste Ehegatte werden davon erfaßt.

„Es war schon kurz nach drei, als Pauline die Treppe vor der Haustür der Lindons nach unten stieg und ihren Chauffeur anwies: ‚Zu Mr Wyant.‘ Dabei waren ihre vom Vormittag verschobenen eurhythmischen Übungen noch irgendwie unterzubringen, und um halb fünf musste sie fertig gebadet, onduliert und gewandet in ihrem Ballsaal die Muttertagsversammlung mit anschließendem monströsem Teeempfang leiten.“ (S. 81f.)

Wharton findet immer wieder erfrischende Formulierungen:

„Keine Ruhekur auf Erden wirkte auf sie so belebend wie ein überstürzter Appell an ihre praktische Tatkraft; sie wurde davon gepackt wie ein Kavalleriepferd vom Hornsignal und zwang die erschöpfte Maisie, sich ebenso packen zu lassen.“ (S. 144)

Anders als bei Upton Sinclairs „Öl!“, das an der Westküste und gelegentlich in Washington spielt, wird das Geschäftsleben ausgeblendet. Zwar arbeitet Ehegatte Nr. 2 – aus kleineren Verhältnissen stammend – als Rechtsanwalt, aber Kanzlei und Schreibtisch sind nur Kulisse und die Berufstätigkeit ein Illustrationsmittel, wie die „trockene Verhörstimme“ oder der entschlossene, professionelle Gesichtsausdruck. Die erwachsenen Kinder haben Probleme, die das Luxusleben so mit sich bringt, vor allem Langeweile und Verdruß.

„Er stand auf und hielt die Zeitschrift unter eine der dunkel beschirmten Lampen. Zu Hause, wo Pauline und die Vernunft regierten, war die Beleuchtung so angebracht, dass man immer lesen konnte, ohne aus seinem Sessel aufzustehen, aber in diesem lächerlichen Haushalt, in dem nie jemand ein Buch aufschlug, waren die Lampen so widernatürlich platziert und so stark abgeschirmt, dass man seine Zeitung direkt ans Licht halten musste, um überhaupt etwas erkennen zu können.“ (S. 101f.)

Das Buch schildert glanzvolle Dinnerpartys und die Leere danach, die Austauschbarkeit des sozialen und philantropischen Engagements, den Firlefanz von Gurus und Heilern und beleuchtet scharf die Diskrepanzen zwischen der gesellschaftlichen Fassade und der inhaltlichen Eintönigkeit des Lebens.

„Seine Sehnsucht, in eine Welt zu fliehen, in der Männer und Frauen sündigten und Kinder zeugten, lebten und starben, wie es ihnen gerade einfiel, ohne dass ständig optimistische Millionäre einschritten, war so stark geworden, dass er manchmal das Gefühl hatte, die Fessel der Gewohnheit müsse beim geringsten Ruck zerspringen.“ (S. 151)

Ein Gespräch der Eheleute nach dem späten Abendessen kommt nicht in Gang – was mag er wollen? Immerhin hieß er sie, eine Abendeinladung abzusagen, sie hätten zu reden.

„Vertrautheit bedeutete für sie das nimmermüde Erörtern von Fakten, nicht unbedingt häuslicher Natur, aber doch präziser, greifbarer Fakten. Sie für ihr Teil war war für alles offen, von der Geburtenregelung bis zum Neoimpressionismus; sie schmeichelte sich, das nur wenige Frauen ein breiteres Betätigungsfeld hatten. In intimen Momenten bevorzugte sie etwas heimeligere Themen; am liebsten wäre ihr jetzt ein zärtlicher, fröhlicher Austausch über den Kohlenkeller oder ein bündiges, beherztes Zwiegespräch über das Leck im Boiler gewesen, aber sie konnte sich auf alles einlassen, solange es sich um Tatsachen handelte […]“

Die Familie verbringt dann gemeinsam Zeit auf einem Landsitz, durch den alles eine unerwartete Wendung bekommt.

Mein Fazit: Ein gut geschriebener Roman, keine belanglose Lektüre, aber nun auch nichts weltbewegendes. Durchaus also eine Kaufempfehlung!

Eine sehr schöne Besprechung des Buches gibt es übrigens bei Sätze&Schätze.

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5 Antworten zu Edith Wharton, Dämmerschlaf

  1. Alexander schreibt:

    Neulich hatte ich schon überlegt, war aber nicht sicher. Habe dann ebenfalls die Besprechung bei Sätze&Schätze gelesen und nun Deine hier – Entscheidung getroffen, werde ich mir (demnächst) besorgen!

  2. nweiss2013 schreibt:

    Ich bin schon gespannt auf Deine Einschätzung! Aber lies erst mal den Ulysses.

  3. Pingback: Moderner Klassiker: Schöne Neue Welt | notizhefte

  4. nweiss2013 schreibt:

    Hat dies auf notizhefte rebloggt und kommentierte:

    Heute wieder einmal eine Zweitempfehlung für ein gutes Buch. Das Leben in den USA der Zwischenkriegszeit fernab von Wirtschaft und Politik, scharfzüngig geschildert.

  5. Petra Gust-Kazakos schreibt:

    Nachdem ich das Buch inzwischen auch las, kann ich mich deinem Fazit nur anschließen : ) Ihr Altes Haus am Hudson River gefiel mir seinerzeit besser, da ging’s mir gerade umgekehrt wie Birgit. Liebe Grüße!

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