Geraldine Brooks, Caleb’s Crossing, 2011

Neuengland in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts: Cynthia, die 14-jährige Tochter eines puritanischen Priesters erfährt die Beschränkungen, die Religion und Patriarchat ihr auferlegen. Sie erhält Bildung nur noch indirekt, nachdem sie als Neunjährige den Katechismus auswendig kann, was der Vater für ausreichend erachtet. Seither kann sie nur dem Unterricht lauschen, den ihr Bruder und andere Jungen vom Vater erhalten. Das entbehrungsreiche Leben dieser frühen Siedlergenerationen wird eindringlich geschildert.
Cynthia schafft sich – soweit dies für ein Mädchen überhaupt möglich ist – Freiräume und begegnet auf den hieraus resultierenden Spaziergängen einem gleichaltrigen Jungen aus dem Volk der Wampanoag. Die beiden bringen sich die Sprache des jeweils anderen bei und tauschen sich auch über ihre kulturellen Hintergründe aus. Der Junge, den Cynthia Caleb nennt, wird später von ihrem Vater unterrichtet und auf den Besuch des College vorbereitet.
Durch den Kontakt zu den Ureinwohnern beginnt sie, bisherige Glaubensgewißheiten zu hinterfragen, und spürt die Attraktivität des Animismus. Sie nimmt die Schattenseiten der eigenen Zivilisation wahr, die Ferne von der Natur.
Die Lebensgeschichte Cynthias ist bewegt, voll Härte und Ungerechtigkeit gegen sie als Frau, aber schließlich auch erfüllt von Freundschaft und Liebe, gesegnet mit einem verständnisvollen Mann und einem starken Sohn.
Die frühe Geschichte Harvards, die Versuche, Eingeborene zu bekehren und auszubilden, der Erfolg, der diesen Bemühungen beschieden ist, und die Tragik individueller Schicksale, vor allem von Frauen, – all das wird zu einem fesselnden Bericht, zu einer starken Mischung aus Resignation, Anklage und einem glaubensstarken Rückblick auf ein erfülltes Leben.
Das Ganze basiert auf der nur in Umrissen bekannten Lebensgeschichte von Caleb Cheeshahteaumauk – dem ersten Ureinwohner, der einen Abschluß am Harvard College machte – und spielt in Cambridge, MA, auf der Insel, die heute Martha’s Vineyard heißt und kurzzeitig auch in Boston und Italien.
In der von Jennifer Ehle gesprochenen Hörbuchversion wirkte der Roman auf mich sehr eindrücklich. Der deutsche Titel „Insel zweiter Welten“ ist stark auf die Insel fokussiert, obwohl ein großer Teil der Geschichte auf dem Festland spielt und die Begegnung dieser beiden Welten dort genauso problematisch ist.
Nach meinem Eindruck steht die Erzählerin Cynthia stärker im Vordergrund als der junge Caleb, dessen „Übergang“ – Taufe und Bildungserwerb – ja am Ende scheitert und in seiner Sinnlosigkeit als Menetekel für potenzielle Nachahmer gesehen werden kann. Aber auch Cynthias Rebellion wird letztendlich eingehegt und bleibt gesamtgesellschaftlich betrachtet folgenlos.