
Man kann nicht nicht politisch sein. Foto: nw 2017
Das schmale Buch des Autors Friedrich von Borries, dessen edition-suhrkamp-typisch bunter Umschlag (orange) von einem ästhetisch designten schwarzweißen Schutzumschlag umhüllt ist, besteht aus sechs Kapiteln.
Zu den Ein-Wort-Überschriften der Kapitel passen die durchnumerierten Absätze, die überwiegend thesenartig knapp sind. Der Stil von Borries‘, der an der Hochschule für bildende Künste Hamburg Designtheorie lehrt, ist apodiktisch, auch in den Begründungen.
1. Entwerfen ist das Gegenteil von Unterwerfen.
Entwerfen. Unterwerfen. Alles, was gestaltet ist, unterwirft uns unter seine Bedingungen. Gleichzeitig befreit uns das Gestaltete aus dem Zustand der Unterwerfung, der Unterworfenheit. Design schafft Freiheit, Design ermöglicht Handlungen, die zuvor nicht möglich oder nicht denkbar waren. Indem es dies tut, begrenzt es aber auch den Möglichkeitsraum, weil es neue Bedingungen schafft. Alles, was gestaltet ist, entwirft und unterwirft. Design ist von dieser sich bedingenden und ausschließenden Gegensätzlichkeit grundlegend geprägt. Diese dem Design inhärente Dichotomie ist nicht nur eine gestalterische, sondern eine politische. Sie bedingt Freiheit und Unfreiheit, Macht und Ohnmacht, Unterdrückung und Widerstand. Sie ist das politische Wesen von Design. (S. 9f.)
Diese Grundaussage wird nun entfaltet und detailliert ausbuchstabiert. Dabei unternimmt es von Borries, Design und Designtheorie zugänglich und anschlußfähig zu halten, indem er die Verbindung zu anderen Diskursen herstellt (2.4.3: Überlebensdesign ist unterwerfend, wenn es eine Krisensituation als Legitimation für die Einschränkung von Freiheit instrumentalisiert, S. 49). Indem Design in die Welt eingreift und sie verändert, wirke es politisch (in einem sehr grundsätzlichen, jenseits des Alltagsgeschäfts zu verstehenden Sinn). Gleichzeitig bestehe eine enge Verzahnung mit dem politischen Betrieb, wie der Autor darlegt (S. 32).
Die Lektüre des Manifests ist streckenweise etwas ermüdend, die Verwendung des Partizips Präsens (entwerfend/unterwerfend) suggeriert eine strenge Dichotomie, die sich aus den Nomina Entwurf und Unterwerfung nach meinem Dafürhalten so nicht ableiten läßt. Mitunter scheint das Reden über Design eher Vorwand zu sein, um allgemein über Politik sprechen zu können.
3.6 Aufgabe von Design ist es, unterwerfendes Sicherheitsdesign zu unterlaufen. (S. 72)
Was zunächst nach Opposition klingt, die sich irgendwie gegen das böse, systemerhaltende Design von oben richten muß, wird schnell zur Diskussion in einer pluralistischen Gesellschaft, die sich – zur Freiheit entschlossen – ein Korrektiv in Gestalt von „Designer[n], Architekten, Künstler[n] usw.“ (S. 72) hält. Diese agieren dann als aufklärerisches Korrektiv oder – mehr oder weniger – subversive Gegner, bis sie schlußendlich doch heroisch Widerstand leisten (S. 73). Gleichzeitig hat Design gesellschaftsverändernde Kraft (S. 81), die es einzusetzen gilt, um vom unterwerfenden Design wegzukommen.
Kronzeuge hierfür ist ausgerechnet Thomas Morus mit seiner Schrift Utopia, der anschaulich Design nutze, um seine Vision schmackhaft zu machen (Zustimmung). Aber es ist mehr als drollig, das das Gängelnde, Totalitäre des morusschen Designs – seine unterwerfende Funktion – mit keiner Silbe erwähnt wird. Morus, Marx und Rousseau dienen dann als Beispiele für das Entwerfen und Schaffen einer besseren Welt. Dabei sind die Zwangs- und Kontrollelemente, die Rousseau auch noch unverblümt benannte, von Borries natürlich zutiefst zuwider.
Eine der wiederkehrenden Aussagen des Buches lautet, daß sich Design und Designer zu oft von der Macht haben benutzen lassen, ja sich ihr andienten. Doch während es einst darum gegangen sei Macht sichtbar zu machen, verstecke sich die Macht heute – und auch hierbei helfe das Design. Entwerfendes Gesellschaftsdesign müsse verhindern, daß „das Gesellschaftsdesign ins Totalitäre abdrifte“ (S. 87), indem es durch Offenheit Reflexion ermögliche. Reflexion erlaubten Kritik und Empowerment, die ihrerseits Widerstand ermöglichten. Utopie und Pragmatismus umschlingen sich – überraschend klingt eine Jenseitsverheißung an. (S. 89)
Im Abschnitt über Selbstdesign geht es um Körperoptimierung, Individualisierung, Selbst- und Fremdbestimmung (auch am Lebensende). Hier wird Feuerbachs Formel vom Leib als dem porösen Ich (1841) zu einem wichtigen Argument.
Zum Schluß geht es ums Ganze (Welt). Der Text schwankt zwischen raumdimensionaler Dynamik und moralischer Verpflichtung als Anknüpfungspunkten für Design.
Aus einem aufklärerischen Verständnis von Verantwortung heraus ist Weltentwerfen deshalb eine moralische Verpflichtung. (S. 122)
Da der Kapitalismus eine „unterwerfende Kraft“ ist, muß der verantwortungsvolle Designer ästhetischen Widerstand leisten und somit – aus einer Position der Ohnmacht heraus – zugleich politisch sein. (123ff.) Dies kann durch das Einnehmen von Haltungen geschehen:
- der kreative Unterstützer
- der reflektierende Ermöglicher
- der träumende Gestalter
- der radikal-opportunistische Interventionist
- der temporäre Aussteiger
- der pragmatische Schläfer
Diese Er-Gestalten sind mehr oder weniger angepaßt, ihr Widerstand wohldosiert.
Überlegungen zur Praktikabilität des Welt-Designs runden das Kapitel rasch ab. Am Ende steht die Gewißheit:
Gutes Design entwirft die Welt. (S. 137)
Mein Fazit fällt zurückhaltend aus. Von einer politischen Designtheorie hätte ich mir insgesamt mehr erwartet; vielleicht brauchte sie einfach auch mehr Raum, um Substanz zu gewinnen. Hier liegt eher eine Streitschrift vor, Thesen, die auf fachkundige Erwiderung warten.
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